Plötzliche Änderungen im Kundenverhalten führen zu enormen Schwankungen im Wertschöpfungsprozess bzw. in der Lieferkette. Durch fehlende Transparenz in den Lieferketten und die fehlende Sicht auf den Kunden entsteht der Bullwhip-Effekt. Die Betrachtung der Prozesse in Form einer Spirale führt zu einer engverschmolzenen End-to-End-Beziehung der Prozesse, die agil agieren und schnell auf Änderungen reagieren können.
Häufiges Phänomen: Die Kunden ändern ihr Bestellverhalten (Bestellungen gehen zurück oder steigen stark an) und keiner im Unternehmen bemerkt diesen Zustand oder bestenfalls viel zu spät. Der Einkauf bzw. die Beschaffung, die am Anfang einer klassischen Wertschöpfungskette steht, verändert das Nachschubverhalten nicht. Bei steigendem Kundenbedarf führt das zwangsläufig zu Engpässen in der Versorgung bis hin zur Nicht-Lieferfähigkeit.
Maßnahme des Einkaufs: Nachschubmengen deutlich erhöhen. Mittlerweile sind jedoch viele Kunden abgesprungen und zum Wettbewerb gewechselt, der eine deutlich bessere Lieferfähigkeit hat.
Folge: Die Welle des erhöhten Nachschubs schwappt ins Lager und wird nicht abgerufen. Das Desaster ist perfekt.
Was ist passiert? Bereits 1960 hatte das Massachusetts Institute of Technology (MIT) den sogenannten Bullwhip Effekt oder zu Deutsch Peitscheneffekt beschrieben. Aufgrund fehlender Transparenz und Kommunikation im Unternehmen bzw. im Wertschöpfungsprozess werden wichtige Informationen, das Kundenverhalten, nicht oder nur unzureichend in der Wertschöpfungskette weitergeleitet.
Stattdessen konzentriert sich jede Abteilung auf seine spezifischen Kennzahlen, die per Definition als die wichtigsten Kennzahlen herausgestellt werden. Der Einkauf versucht zu den günstigsten Konditionen Produkte zu beschaffen, was einen deutlichen Einfluss auf die Menge hat und das Lager volllaufen lässt. Die Lagerkosten steigen, was den Lagerleiter in Erklärungsnot drängt. Die Folge ist, das Unternehmen ist vollkommen auf seine eigenen Prozesse fixiert und beschäftigt sich ausschließlich mit sich selbst.
Die wichtigste Kennzahl jedoch wird völlig ignoriert: Das Kundenverhalten bzw. die Kundenwünsche.
Denn neben einer Vielzahl von unternehmensinternen Kennzahlen, mit denen Kosten, Bestände, Prozesse etc. gesteuert werden, trägt der Kunde mit seinem Verhalten zur wichtigsten Kennzahl bei. Der Kunde steuert mit seinen Aufträgen das Unternehmen. Somit stehen nicht Pläne und Ziele des Unternehmens am Anfang der Wertschöpfungskette, sondern der Kunde. Eine Organisation sollte sich also immer am Alltag des Kunden orientieren.
Änderungswünsche kommen vom Kunden, nicht von der Hierarchie.
Betrachtet man nun die klassische Form des Wertschöpfungsprozesses, die Wertschöpfungskette, wird eines sehr deutlich: Der Kunde, der am Ende einer Wertschöpfungskette steht (ja, in dieser Form steht er am Ende und nicht am Anfang), wird häufig nur von der Abteilung gesehen, die in direkter Beziehung zu ihm steht: Meistens ist es der Vertrieb.
Aufgrund von häufig bestehenden (virtuellen) Abteilungswänden erhalten alle anderen Abteilungen der Wertschöpfungskette keine oder nur unzureichende Informationen vom Kunden.
Wie sollte es stattdessen sein?
Transparenz im Wertschöpfungsprozess herstellen!
Unternehmen müssen ihre Kunden aus allen Perspektiven im Wertschöpfungsprozess im Blick haben.
Aus dieser Anforderung folgt eine neue Form des Wertschöpfungsprozesses: Statt in einer Kette sollten die Prozesse in einer Spirale angeordnet sein. Daraus ergibt sich eine Vernetzung der Prozesse untereinander mit einem direkten Blick auf den Mittelpunkt: Dem Kunden. Diese Transparenz im Wertschöpfungsprozess stellt sicher, dass Änderungswünsche direkt (online) an alle prozessbeteiligten weitergeleitet werden.
Die Wertschöpfungsspirale gewährleistet eine End-to-End-Beziehung, wodurch Änderungswünsche, die vom Kunden kommen, direkt alle im Wertschöpfungsprozess beteiligten Abteilungen ungefiltert und zeitnah erreichen. In einer engverschmolzenen End-to-End-Beziehung kann auf Veränderungen schnell reagiert werden, was insbesondere bei plötzlich auftretenden Änderungen im Kundenverhalten (z.B. ausgelöst durch Krisen) ein schnelles Gegensteuern bewirken kann.
Das heißt auch, jede Kennzahl im Unternehmen steht in einer direkten Beziehung zu den anderen Kennzahlen. Z.B. hat die Lieferfähigkeit (und alles was dazu gehört, wie Zeit, Qualität usw.) einen direkten Einfluss auf den Kunden, die wiederum einen direkten Einfluss auf den Lagerbestand und die Wiederbeschaffung hat und so weiter.
Transparenz im Wertschöpfungsprozess bedeutet also, nicht nur seine eigenen Kennzahlen isoliert zu betrachten, sondern die Gesamtauswirkungen zu erkennen. Eine ganzheitliche Betrachtung führt zu einem kundenzentrierten Wertschöpfungsprozess.
Transparenz heißt auch, dass Plattformen geschaffen und genutzt werden müssen, die diesen Datenaustausch untereinander ermöglichen. Das Internet der Dinge (IoT) gibt hierzu den Rahmen vor, den viele Unternehmen bereits mit entsprechenden Plattformen anbieten. Nun gilt es noch, die Digitalisierungsstrategien der Produktions- und Logistik-Unternehmen auszubauen und an eine kundenzentrierte Wertschöpfung anzupassen.